„Mach was! Egal was! Nur mach irgendwas!!!“, flehe ich verzweifelt meinen Mann an. Das Jahr 2013 hat gerade erst begonnen. Wir diskutieren diesmal nicht über Sex, die Krise liegt zum Glück hinter uns, sondern über Andis Arbeit. Seit ein paar Jahren macht ihm sein Job keinen Spaß mehr und in letzter Zeit wird es immer schlimmer. Ein akuter und wirklich böser Konflikt mit einem Kollegen, den er bisher sehr geschätzt hat, bringt das Fass gerade zum Überlaufen.
„Das, was ich will, geht ja nie!“, erwidert er, nicht minder verzweifelt.
Vor ein paar Monaten habe ich meinen Teilzeitjob in derselben Firma gekündigt. Daher weiß ich, wie toll es sich anfühlt, nicht mehr dort hingehen zu müssen. Wir haben die Entscheidung gemeinsam getroffen, denn dadurch fehlt mein zusätzliches Einkommen. Meine Coaching Praxis ist noch im Aufbau und meine Umsätze reichen nicht aus, um unsere Familie zu ernähren.
„Was willst du denn?“, frage ich gespannt, doch diese Antwort wollte ich nicht wirklich hören. „Ich habe eine Stellenanzeige gelesen, die mich total interessiert. Es wird ein Hüttenwart gesucht für eine Berghütte in der Schweiz. Doch ich kann mich ja nicht bewerben, weil ich dann einige Wochen nicht zu Hause wäre.“
Bevor wir Kinder hatten, habe ich es immer sehr genossen, wenn Andi länger unterwegs war.
Ich liebte es, viel Zeit mit mir alleine zu verbringen und nur das zu tun und zu lassen, wonach mir grade war. Seit wir Eltern sind, ist es vorbei mit dieser Freiheit. Wenn einer von uns weg ist, heißt das, der andere darf für die Kinder sorgen, und ist dadurch in seiner Freiheit extrem eingeschränkt. Mittlerweile sind beide Kids in der Schule und relativ selbständig. Ich könnte mir vorstellen, dass ich auch längere Zeit alleine klar komme. Doch behaglich ist mir nicht bei dem Gedanken. Gar nicht behaglich. „Wie lange wärst du denn weg? Was genau reizt dich daran? Kann ich dich besuchen? Kommst du ab und zu nach Hause?“ Ich bombardiere ihn regelrecht mit meinen Fragen. Vermutlich um meine Panik zu verbergen, was mir nicht gelingt.
Trotz meiner Bedenken ist mir klar, dass ich ihn gehen lassen muss.
Er wird ja doch nur jeden Tag unglücklicher im jetzigen Job. Wir reden lange an diesem Vormittag und beschließen wieder gemeinsam, dass er sich tatsächlich bewirbt. Wenn er genommen wird, ist er das ganze Frühjahr nicht daheim.
Die nächsten Tage sind nicht witzig.
Ich heule viel und meine Ängste spielen sich zu Monstern auf. In meiner Not suche ich Rat bei meiner besten Freundin. Sie redet mir klar und nachdrücklich ins Gewissen: „Lass ihn gehen. Das ist für ihn wichtig. Du schaffst das schon alleine. Verdirb ihm jetzt nicht auch noch die Vorfreude mit deiner Heulerei!“ Wummms! Der saß! Sie hat Recht. Mit meinen Ängsten und Sorgen mache ich ihm die Entscheidung nicht gerade leicht. Er muss sich ja fühlen wie ein Verbrecher, der seine Frau rücksichtslos in ihrem Leid zurück lässt.
Seit dem Gespräch bin ich entspannt.
Und Andi kann aufatmen. Das Bewerbungsgespräch in der Schweiz verläuft gut. Trotzdem bekommt er den Job nicht.
Die ganze Aufregung umsonst?
Nein. Sicher nicht. Wir beide haben in dieser Zeit einen großen Entwicklungsschritt gemacht. Besonders ich. Meine Einstellung hat sich komplett gedreht und seit dieser Zeit kann ich meinen Mann wirklich loslassen. Nach der ganzen Vorfreude auf einen neuen Job war nun der Frust, weiterhin in die Firma zu gehen, noch größer. Schier unerträglich. So trafen wir eine weitere weitreichende Entscheidung.
Andi kündigte, ohne einen neuen Job in der Tasche zu haben.
Ich habe versprochen, meinen Mann überall hin zu begleiten und auch umzuziehen, falls das für eine coole Arbeitsstelle nötig sein sollte. Also fast überall. Nicht auf einen Gletscher knapp 3000 Meter über dem Meer mit Eis und Schnee, das war klar. Und das war nun auch gar nicht mehr nötig. Die Erfahrung, dass ich ihn wirklich auf diese Hütte hätte gehen lassen, hat seine Zuversicht und Zufriedenheit deutlich verstärkt. Die berufliche Situation war nun nicht mehr aussichtslos. Denn mit meiner gewachsenen Flexibilität eröffneten sich deutlich mehr Möglichkeiten, als jemals zuvor. Vielleicht gibt es für dich gefühlt ausweglose Situationen, die du nicht mehr aushalten möchtest.
Wenn du etwas ändern wolltest, was wäre es?
- Welche Lebensbereiche sorgen für Unzufriedenheit in deinem Leben?
- Welche Umstände glaubst du nicht ändern zu können?
- Wo fühlst du dich hilflos, ausgeliefert oder eingesperrt?
- Wo schränkst du deine Freiheit ein, oder die deines Partners?
- Welche Monster-Ängste machen dir das Leben schwer?
- Was würdest du gerne ändern, wenn dein Partner/deine Partnerin zustimmen würde?
- Kannst du einfach fragen?
Sobald du klar hast, was sich ändern darf in deinem Leben und du den Mut hast, es anzugehen, helfen dir diese Fragen. Schreib dir die Antworten auf. Lass dir Zeit und sei vor allem super ehrlich mit dir selbst.
- Was könnte im schlimmsten Fall eintreffen?
- Was könnte im besten Fall eintreffen?
- Wie ist mein Leben in 5/10/20 Jahren, wenn ich nichts ändere?
- Wie ist mein Leben in 5/10/20 Jahren, wenn ich was ändere?
- Wer oder was könnte mich unterstützen?
- Gibt es jemanden, der schon geschafft hat, wovor ich Angst habe?
Idealerweise kannst du voll in deine Antworten eintauchen und sie fühlen. Wie fühlt sich dein Leben an, wenn du es verändert hast? Wie, wenn du dich nicht traust? Was wirst du am Ende mehr bereuen? Uns haben damals die Hörbucher und der Podcast der fresh academy geholfen.
Durch das tägliche Hören wurde unser Mut gestärkt und die Angst kleiner. Die Zuversicht, es irgendwie zu schaffen, wuchs und so kam es auch. Zwei Jahre und eine weitere Kündigung später hat sich alles in Wohlgefallen aufgelöst. Wir mussten nicht unter der Brücke schlafen und auch sonst gab es keine größeren Probleme. Mittlerweile sind wir trotzdem umgezogen. Nicht weil wir mussten, sondern weil so viel frischer Wind in unser Leben kam, dass wir das wollten.
Also: Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest? Und dann: MACH!
Leben darf leicht gehen und Spaß machen. Liebe auch!
Herzlichst Melanie
PS. Was ist deine Meinung dazu? Welche mutigen Erfahrungen hast du gemacht?
8 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Liebe Maria,
auf deinem Blog kann ich keinen Kommentar schreiben, oder?
Ich finde es cool, dass du dich so intensiv mit den Fragen aus meinem Artikel auseinander setzt! Wow!
Wenn ich sie dir geben könnte, würde ich dir alle Erlaubnis dieser Welt geben, dass es dir gut gehen darf.
Vielleicht kannst du mit einer winzigen Kleinigkeit anfangen: Wenn du deine Persönlichkeit ändern könntest, wie wäre sie dann?
Leichter, entspannter, glücklicher? Wärst du witziger? Wärst du gerne einfach nur du selbst und könntest das einfach mal gut finden?
Ich habe für mich selbst beschlossen, dass meine Persönlichkeit jeden Tag wachsen darf, sich ändern darf und entwickeln. Ich möchte jeden Tag witziger, entspannter und glücklicher sein. Ich mag es sehr, wenn die Zweifler mal etwas leiser werden und ich mich genau richtig fühle, wie ich bin. Das klappt nicht immer, doch es wird immer besser.
Ich bin sicher, du kannst das auch. Jeden Tag ein kleines bisschen glücklicher sein und dir selbst erlauben, dass es dir gut gehen darf. Ganz egal was alle anderen darüber denken.
Herzlichst
Melanie
Loslassen ist die einzige Möglichkeit. Und es ist wichtig, seinem Partner und sich selbst alle Freiheiten zu lassen. Es müssen natürlich Kompromisse gefunden werden. Ich finde, ihr habt beide total richtig reagiert und besonders mutig war deine Freundin, dir die Wahrheit zu sagen. Falsche Freunde erzählen dir schöne Lügen, wahre Freunde sagen dir die hässliche Wahrheit!
Glückwunsch zur neugewonnenen Flexibilität :)
Liebe Katharina,
ja, das sehe ich auch so wie du. Ich bin froh, dass ich eine Freundin habe, die mir wenn nötig auch mal richtig den Kopf wäscht :-).
Lieben Gruß
Melanie
Wenn ich keine Angst hätte? Ich habe es gerade getan. Ich habe eine Lesung organisiert.
So war das:
Schreibwerkstatt. Die war cool. Für mich Erfolge auf mehreren Baustellen.
Danach erfuhr ich, dass einer der Teilnehmer, tun wollte, wovon ich insgeheim träumte. Eine Lesung mit Andreas Altmann organisieren. Mit meiner Dame von der Burg malte ich mir aus, wie die Lesung sich in der Harmonie machen würde. Ich traute weder mir zu, das zu schaffen (die Sache mit dem Selbstvertrauen), noch traute ich mich, den Altmann zu fragen. Da war es „praktisch“ , dass der andere Teilnehmer das machen wollte. Zwar im Bergischen Land, aber erreichbar (krass, wie man sich drückt, wenn’s möglich ist). Letztlich hat es vorerst nicht hingehauen und ich hörte jetzt nichts mehr. Ich war enttäuscht.
Dann ging die Sache mit meinem Taxiverkauf schief und es passierte das: http://tuepflischiesser.com/2015/02/12/die-silvia-der-aa-die-lesung/
Seitdem geht’s mir super.
Das ist ein wenig am Thema Partnerschaft vorbei, denn es ist das erste Mal, dass ich nicht bei irgendwem Rat eingeholt oder Rücksprache gehalten habe.
Ich bin das erste Mal tatsächlich in der Lage, mir selbst zu sagen: Das hast Du gut gemacht. Du bist einfach toll. Und mir auf die Schulter zu klopfen. Ich kann Dir gar nicht beschreiben, wie erhebend dieses Gefühl ist. Echtes Selbstvertrauen fühlt sich toll an.
Liebe Grüße,
Silvia
Liebe Silvia,
sehr cool! Großartig, dass du dich getraut hast und super, dass sich letztlich alles so gut gefügt hat. :-). Und ja, diese Art von Selbstvertrauen ist sehr geil! :-)
Liebe Grüße
Melanie
Manchmal macht es eben Sinn, sich frei zu machen, damit man wieder klarer sehen kann. Ich denke, wenn man offen dafür ist vorübergehend auf gewisse Dinge verzichten zu müssen und im allerschlimmsten Fall halt wieder die Zähne zusammen beissen zu müssen und einen Job anzunehmen, der vielleicht nicht ganz ideal ist, dann kann das trotzdem schon mal richtig helfen. Denn ich bin mir eigentlich sicher, dass man, wenn man mal einen Entschluss gefasst hat, nicht mehr in die selben Fehler rein rennt…
Oh ja, das macht wirklich Sinn. Und du hast ja einen noch viel größeren Schritt gewagt und bist ausgewandert. Respect!
Jede Challenge, die wir meistern, erweitert die Komfort-Zone und macht uns stärker, so dass wir künftige Herausforderungen leichter meistern.Diese Erfahrung hat uns gezeigt, dass es immer irgendwie weiter geht.
Genau. Ich denke einfach, dass manchmal die Angst vor dem Ungewissen viel zu viel Platz einnimmt. Natürlich machen wir uns Sorgen darüber, was denn ist, wenn es nicht aufgeht. Aber schliesslich wissen wir nie, ob es aufgeht, auch nicht, wenn wir im gewohnten Verlauf drin bleiben. Und so denke ich, dass es doch besser ist, sich frei zu machen, um Raum für etwas besseres zu schaffen und sich dabei erst noch besser zu fühlen :-) Danke dir für den tollen Beitrag.